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Eurode
Auf dem Weg zu einem geeinten Europa
„Eu-Rode“ ist ein Kunstwort, das aus dem Namen Europa und dem aus der frühen Geschichte stammenden „Land von s’Hertogenrode“ kreiert wurde. Schon seit dem 12. Jahrhundert bildeten Herzogenrath und Kerkrade auf der administrativen Landkarte eine Einheit.
Diese Karte war ein besonders kompliziertes Flickwerk, das sich ständig dadurch änderte, dass Herzöge, Grafen und andere Grandseigneurs die administrativen Rechte über Ortschaften und Gebiete verkauften, beim Würfelspiel verspielten, als Hochzeitsgeschenk verschenkten, durch Kriege verloren oder durch Erbschaften das Eigentum daran erlangten. Kerkrade und Herzogenrath blieben aber trotz dieser unruhigen Jahrhunderte als Land von ´s-Hertogenrode vereint.
Im Jahre 1804 wurden die bestehenden Grenzen abgeschafft. Die gesamte Region wurde in das große französische Kaiserreich aufgenommen. Der französische Name für Herzogenrath (Rode-le-duc, oder: Rolduc) wird in jener Zeit schon für die Abtei „Klosterrade“ (im Französischen eigentlich: „Lábbaye de Rolduc“) benutzt. Heutzutage wird der Name „Rolduc“ für den auf Kerkrader Gebiet liegenden Klosterkomplex benutzt. Historisch gesehen also nicht richtig.
Nachdem Napoleon in Waterloo besiegt worden war, fiel das Land von ´s-Hertogenrode auseinander. Im Jahre 1815 wurden auf dem Wiener Kongress aus dem Handgelenk heraus neue Grenzen gezogen. Die Grenze zwischen den Niederlanden und Preußen wurde quer durch das Land von ´s-Hertogenrode gezogen, wodurch „Rolduc“ auf niederländisches Hoheitsgebiet und die „Burg Rode“ auf preußisches Hoheitsgebiet gelangten. So wurde Kerkrade ein Teil der Niederlande und Herzogenrath kam zu Preußen. Hierdurch wurde ein Strich durch das Land von Rode und durch die gewachsene Zusammengehörigkeit, die sieben Jahrhunderte lang bestanden hatte, gezogen.
Der gleiche Dialekt, die gleiche Kultur, viele familiäre Beziehungen und soziale Kontakte hatten aber weiterhin Bestand. Die Grenze ist aus diesem Grunde für die Menschen im „Land von Rode“ in soziokultureller Hinsicht niemals eine Barriere gewesen. Nirgendwo in Europa existiert wahrscheinlich auch eine so dichte städtische Bebauung beiderseits der Staatsgrenze. An der Nieuwstraat/Neustraße gab es kein Niemandsland zwischen den Zollämtern. Die Zollämter gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Doch zurück zur geschichtlichen Einführung, die unentbehrlich für das richtige Verstehen der heutigen engen Verflechtungen zwischen beiden Städten ist.
In der Praxis stellte sich heraus, dass die Grenze zwischen Kerkrade und Herzogenrath im neunzehnten Jahrhundert noch kein Hindernis für einen intensiven Kontakt zwischen den Bürger*innen darstellte. Erst mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 änderte sich dies. Es gab zum ersten Mal eine physische Grenze an der Nieuwstraat/Neustraße: ein eiserner Vorhang mit einer Höhe von ca. zwei Metern wurde errichtet. Von bewaffneten Soldaten wurde an der niederländisch-deutschen Grenze rege patrouilliert.
Quelle/Fotograf: Unbekannt
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs bis hin zum Jahre 1995 wurden die Grenzbefestigungen sukzessive abgebaut. So wurde im Laufe der Jahrzehnte der zwei Meter hohe Grenzzaun ersetzt durch einen ‚freundlicheren Maschendrahtzaun’ mit einer Höhe von 1,20 m. Dieser wiederum wich in den sechziger Jahren einem ca. 60 cm hohen Betongrenzstreifen als Staatsgrenze. Doch auch wenn die Grenzbefestigungen zwischen beiden Staaten und damit zwischen den beiden Städten immer ‚humaner’ wurden, die beiden Weltkriege hatten insofern ihre Spuren hinterlassen, als sich die beiden Städte zunächst ‚mit dem Rücken zueinander’ entwickelten. Herzogenrath war ‚Deutschland-orientiert’, Kerkrade ‚Niederlande-orientiert’. Annäherungen zwischen beiden Städten fanden zwar statt, müssen aber als eher zaghaft, sporadisch und informell bezeichnet werden.
Erst mit dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der innereuropäischen Grenzen wuchs bei beiden Stadträten und –verwaltungen der Wunsch, die gegenseitigen Beziehungen zu intensivieren und ‚die letzte Mauer Europas’, nämlich die auf der Nieuwstraat/Neustraße, zu beseitigen.
Die Einrichtung der Straße basierte vollends auf dem Verlauf der Grenze. Auf beiden Seiten gab es eine unabhängige Verkehrsführung. Mit der Umgestaltung der Grenzstraße konnte man sich auf die Schaffung einer gemeinschaftlichen Straße, den Bau von Radwegen und Stellplätzen sowie das Pflanzen von Bäumen und Sträuchern konzentrieren. Insgesamt diente das Projekt der Verbesserung der räumlichen, städtischen und verkehrstechnischen Infrastruktur. Anfang des Jahres 1995 wurde die Neueinrichtung vollendet und die Neustraße/Nieuwstraat mit einem großen Eurodefest im Beisein der Außenminister beider Länder der Bürgerschaft beider Städte übergeben.
Die Neustraße/Nieuwstraat ist jetzt eine offene und grenzfreie, eben eine europäische, Straße, in der auf einem der zahlreich angelegten Kreisverkehre noch einige der alten Leiconblöcke als Erinnerung aufgestellt worden sind. Eine Plakette mit Inschrift erinnert an vergangene Zeiten.
Die Verkehrsabwicklung auf der umgestalteten Neustraße/Nieuwstraat brachte aber auch Probleme durch unterschiedliche nationale Verkehrsvorschriften mit sich. Der gravierendste Unterschied war die Benutzung der Radwege durch Mopeds; in den Niederlanden Pflicht, in Deutschland verboten. Dieser Missstand sowie ein Verkehrsunfall mit einem Mopedfahrer und einem Fußgänger auf dem Radweg führte dazu, dass im Jahre 1999 die niederländischen Verkehrsvorschriften angepasst und Mopeds vom Radweg auf die Straße verlagert wurden. Ein Beispiel dafür, wie grenzüberschreitende Zusammenarbeit einen Beitrag zur Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften leisten kann.
Es gibt aber noch zahlreiche Unterschiede in den nationalen Gesetzen, die sich gerade auf der Neustraße/Nieuwstraat manifestieren. Ein weiteres kurioses Beispiel sind die Verkehrszeichen auf dieser Straße. Die niederländischen Verkehrszeichen sind im Durchmesser ca. zwei cm kleiner als deutsche Verkehrszeichen, entsprechen somit nicht der deutschen DIN-Norm. Daher wollte man die Städte verpflichten, deutsche und niederländische Verkehrszeichen untereinander anzubringen. Da diese Verpflichtung die kommunalen Autoritäten doch sehr an ‚Schilda’ erinnerte, entschloss man sich pragmatisch, nur die kleineren und damit kostengünstigeren niederländischen Verkehrszeichen anzubringen. Auf die entsprechende Ausnahmegenehmigung wartet Eurode noch heute! Man sieht, ein gewisses Maß an zivilem Ungehorsam kann bisweilen vonnöten sein, will man grenzüberschreitende Zusammenarbeit vorantreiben.
Quelle/Fotograf: Unbekannt